Seelenfutter August 2020: Horizonterweiterung
Vor einigen Tagen, also noch vor der großen Hitzewelle in diesen Tagen, bin ich mit meiner Familie wieder aus dem Urlaub zurückgekehrt. Wir sind zwei Wochen an der Ostsee zwischen Kiel und Flensburg gewesen. Badewetter war zwar keines. Dafür haben wir mit vielen anderen Aktivitäten die gemeinsame Auszeit vom Alltag genossen. Nun sitze ich im Büro und blättere nochmal durch die Urlaubsfotos auf dem Handy und der Kamera. Und frage mich, was ich mitnehme von den etwas kühleren und wechselhaften Sommertagen am Meer: Klar, Ruhe und Erholung. Die schönen Erlebnisse bei Ausflügen in reizende Dörfer und Städte, bei Fahrrad- und Kajaktouren. Die andere Natur als bei uns zu Hause, das maritime Flair der Häfen, Eis, Kaffee, Kuchen und vor allem Fisch(brötchen). Die mutigen Menschen am Strand, die trotz frischem Wind und Wasser baden wollten. Die lesenden Freizeit-Skipper auf ihren Segelbooten im Sonnenuntergang. Die Freiluft-Gottesdienste auf den Kirchhöfen. Die vollen Camping-Plätze und Fußgängerzonen mit coronabedingten Urlaubern im eigenen Land. Die Begegnung mit verschiedenen Menschen. Die saisongestresste Bedienung im Bistro. Die humorvolle Stadtführerin. Oder das geduldige Schlangestehen mit Mundschutz vor und in der Bäckerei. Aber auch das gemeinsame Nichtstun, Zeithaben, Blödeln, Lachen, Toben. Wer wegfährt hat eben viel zu erzählen…
Als ich so die Urlaubstage Revue passieren lasse, bleibe ich bei einem Foto besonders hängen: Das mit den bunten Stühlen am Strand. Es macht Lust auf Urlaub am Meer. Gerne mag man sich eine Zeit lang hinsetzen und einfach die Aussicht genießen. Der Blick übers Meer mit seinem weiten Horizont, ja, der hat mir besonders gut getan. In den letzten Corona-Monaten bin ich viel auf Sicht gefahren. Nach dem Einen habe ich immer gleich das Nächstliegende gesehen. Der Blick reichte nicht weit. Wie auch?! Weit voraus planen war nicht möglich. Kleinschrittig ging es voran. Der weite Blick in die Ferne war nicht möglich. Und er wird auch noch länger kaum möglich sein. Wer weiß schon, was in vier Wochen oder in einem halben Jahr ist! Corona bleibt.
Aber im Urlaub am Meer. Da war er, der weite Blick. Bis der Horizont in den Himmel übergeht. Von einer Kollegin, die in einer Kurklinik an der Ostsee tätig ist und eigentlich aus dem Rheinland stammt, konnte ich während des Urlaubs in der Zeitung lesen, dass sie genau diesen weiten Blick übers Meer auch schätzt. Erholung für Augen und Seele! Wir haben mal nichts, was vor Augen liegt, keinen Fixpunkt. Der Blick kann einfach schweifen. Und genau das ist erholsam.
Udo Lindenberg singt bis heute: „Hinterm Horizont geht´s weiter. Ein neuer Tag. Hinterm Horizont immer weiter. Zusammen sind wir stark“. Wenn ich am Meer sitze, kann ich bis zum Horizont blicken. Aber da ist scheinbar nichts. Der Horizont geht in den Himmel über. Dass ich mal nichts sehen kann außer Meer und Himmel, dass ich mal nur Weite erleben kann, tut gut. Macht den Blick und den Kopf frei. Weil ich weiß, dass hinterm Horizont doch noch was ist. Dass da geografisch gesehen irgendwo eine Insel oder wieder Festland kommt. Irgendwas und irgendwer ist dort hinterm Horizont. Aber ich sehe es jetzt nicht: Muss es auch nicht sehen. Ich weiß, dass es bei Gott nie einen leeren Raum gibt. Dort hinterm Horizont geht es auch mit ihm weiter. Auch er ist dort, obwohl ich ihn nicht sehe. Und so ist es auch mit den Dingen, die jetzt nach dem Urlaub wieder vor mir liegen: Alltag in Beruf und Familie und mit Corona. Vieles sehe ich noch nicht. Vieles ist noch ungewiss. Aber so wie Gott bei alledem, was ich an Lebens-Fülle im Urlaub erleben konnte, dabei war. So wird er auch bei dem mit seiner Fülle bei mir sein, was ich jetzt noch nicht sehen kann, was noch ungewiss in der Zukunft liegt. Ich vertraue drauf, dass er auch hinterm Horizont für mich da ist. In einem alten Lied und Gebet der Bibel heißt es dazu passend: „Herr, deine Güte reicht, so weit der Himmel ist, und deine Wahrheit, so weit die Wolken gehen“ (Ps 36,6). Beide sind unendlich: Der Himmel und Gottes Güte.
Ich wünsche Euch und Ihnen allen nach den Ferien- und Urlaubswochen wieder einen guten und hoffentlich ein bisschen erholten Start in den Alltag von Beruf, Schule und Familie.
Herzliche Grüße
Ihr und Euer Pfarrer Norman Roth
PS: Teilt gerne diese Gedanken auch mit anderen, besonders mit denen, die nicht online sind. Vielen Dank.