Sonntagsgedanken 21. Juni 2010: Lasten tragen
Sommeranfang! Und bis zu den Sommerferien ist es nicht mehr weit! „Endlich“, sagen viele in den letzten Tagen. Etliche Gespräche zwischen Tür und Angel gehen im Moment über ersehnte Urlaubs- und Ferientage. „Habt Ihr eine Möglichkeit, Urlaub zu machen?“, fragt eine. „Zum Glück haben wir schon längst vor Corona eine Ferienwohnung in Norddeutschland gebucht“, antwortet ein anderer. Jemand meint: „Wir können gar nicht groß wegfahren. Bleiben wir zu Hause auf der Terrasse oder im Garten. Da ist es auch schön. Den Stress mit den ganzen Regeln woanders, das tuen wir uns erst recht nicht an!“
Genau, Stressreduktion, das ist ein passendes Stichwort derzeit, finde ich. Viele fühlen sich ausgepowert. Nach angespannten, unsicheren, belastenden Wochen und Monaten ist die Aussicht auf ein bisschen Ruhe und Entspannung für die Seele wohltuend. Bald neue Kräfte tanken für all das, was dann wieder an Gewissem und Ungewissem kommt. Mal wenigstens einen „Tapetenwechsel“ haben, was Anderes sehen. Darauf freue ich mich, darauf freuen sich mit mir vermutlich viele.
Jesus hat einmal gesagt: Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht. (Matthäus 11,28-30)
Worte, die gerade jetzt, wo sich viele „mühselig und beladen“ fühlen, erstmal angenehm klingen. Aber dann doch irgendwie wieder fremd. Wie genau und mit was möchte Jesus uns denn an unserer Seele erfrischen? Sollen wir doch irgendwas wieder auf uns nehmen?
Vor ein paar Jahren habe ich zu diesen Sätzen von Jesus einmal eine richtig gute und verständliche Erklärung gefunden. Und zwar in einem Buch eines menschlich und wissenschaftlich sehr geschätzten Theologie-Professors aus meinen Studientagen in Heidelberg:
„Das Schlüsselwort … ist offensichtlich das zweimal auftauchende Wort „Joch“, und zwar ist das Joch Jesu gemeint. Nun ist ein Joch ein Werkzeug oder Hilfsmittel, das entweder Tieren aufgelegt wird, damit sie eine schwere Last ziehen können, oder das Menschen sich auf ihre Schultern legen, damit sie schwere Lasten (besser oder leichter) tragen können … Wer selbst schon einmal, etwa bei landwirtschaftlicher Tätigkeit oder bei Bauarbeiten, ein Joch benutzt hat, wird wissen, dass das die zu transportierenden Lasten tatsächlich insofern wesentlich erleichtert, als es sie dorthin bringt wo man über die größte Kraft verfügt: auf die Schultern. Vorausgesetzt ist dabei allerdings, dass das Joch selbst angenehm zu tragen ist und nicht eine zusätzliche Belastung oder Erschwernis darstellt.
Wendet man diese Überlegungen auf unsere Bibelverse an, so besteht die Einladung Jesu, die Erquickung verheißt, offenbar darin, Menschen das Joch Jesu anzubieten, das durch Sanftmut und Demut geformt ist und ihnen hilft, die Lasten ihres Lebens besser zu tragen, weil es das Gewicht der Lasten dorthin bringt, wo Menschen die größte Kraft haben. Das ist etwas anderes als das Angebot, ihnen die Lasten ihres Lebens abzunehmen. Aber es ist auch etwas anderes als die Aufforderung, sie sollten die Lasten des Lebens endlich anpacken und sich mehr anstrengen. Es ist ein Hilfsangebot, um die Lasten des Lebens besser tragen zu können.
Wenn an dieser Auslegung etwas Zutreffendes ist, dann ist es jedenfalls ein Kontrastbild zu den Heinzelmännchen, die den Menschen ihre unerledigten Aufgaben und Verpflichtungen abnehmen. Und es ist zugleich ein Modell dafür, wie im zwischenmenschlichen (sei es im pädagogischen, sei es im ökonomischen) Bereich wirksame, und zwar langfristig wirksame, also nachhaltige Hilfe auch als Befähigung zur Selbsthilfe geleistet werden kann.
„Wie wirkt Gott?“, so fragten wir. Diesem Wort Jesu zufolge wirkt Gott jedenfalls auch so, dass er Menschen befähigt, die Lasten ihres Lebens besser tragen zu können“ (aus: Wilfried Härle, Warum Gott? – Für Menschen, die mehr wissen wollen, Leipzig 2013, S. 233f.)
Nicht nur die Corona-Lasten werden auch diesen Sommer, zumindest zum Teil, überdauern. Vielleicht wird auch die ein oder andere neue Last dazu kommen, persönlich, gesundheitlich, familiär, beruflich. Wir kennen die Lebensweisheiten: Unter jedem Dach ein Ach. Oder: Jeder hat sein Päckchen zu tragen.
Ich wünsche uns allen, dass wir es schaffen, über die Sommerwochen etwas zur Ruhe kommen zu können, unsere Seele erfrischen und neue Kräfte sammeln zu können. Wo und wie auch immer. Um dann sich wieder neu den Anforderungen und Belastungen des Lebens und des Alltags zu stellen. Und bitten wir Gott darum, uns dabei zu helfen, sie besser oder leichter tragen zu können. Bitten wir ihn darum, uns Menschen an die Seite zu stellen, die uns mithelfen, unsere Lasten zu tragen. Nicht unbedingt so, dass sie sie mittragen oder sie uns abnehmen. Jede und jeder trägt in der Regel bereits genug. Vielleicht eher so, dass andere da sind, die mit uns durchbuchstabieren und uns zeigen wie wir es selbst besser und leichter schaffen, unsere Lasten zu tragen.
Wer beten möchte:
Gott,
wir sagen dir all das, was uns mühselig macht und belastet …
Wir bitten dich: Hilf uns. Zeige uns wie wir die Lasten unseres Lebens und unseres Alltags besser und leichter tragen können.
Danke, dass du uns zuhörst und uns beistehst.
Hilf auch all denjenigen, die in dieser Zeit besonders belastet sind und sich kraftlos fühlen, ihre Lasten zu tragen.
Gib uns die Kraft, das Einfühlungsvermögen und die richtigen Worte, sie dabei zu unterstützen, ihre Lasten tragen zu können. Amen.
Bleibt weiter behütet, zuversichtlich und gesund!
Euer und Ihr Pfarrer Norman Roth
PS: Und wie immer die Bitte, diese Gedanken gerne auch zu teilen, vor allem mit denen, die nicht online sind. Vielen Dank.