Sonntagsgedanken 5. Juli 2020: Schneckentempo

Neulich habe ich bei einem Spaziergang im Grünen mitten auf einem Radweg diese wunderbare Schnecke angetroffen. Da dachte ich: „Die hat die Ruhe weg! Wenn jetzt ein Radfahrer vorbeikommt und hat keine Acht, wird es lebensgefährlich für sie!“ Ich mochte sie nicht anfassen. Aber ich habe einen Moment gewartet, um heranrauschende Biker noch zu warnen. Nach einer Weile war mir das Schneckentempo dann aber doch zu langsam. Ich bin weitergelaufen. Und habe gehofft, dass die Schnecke das Gras auf der anderen Seite des Weges unbeschadet erreichen möge. Als ich auf dem Rückweg wieder an der gleichen Stelle vorbeikam, war die Schnecke nicht mehr zu sehen. Sie hatte es augenscheinlich geschafft.
Auch im Schneckentempo nicht unter die Räder zu kommen, das wünsche ich mir jetzt für die Sommerzeit. Die Auszeit in den Ferien und im Urlaub in Zeitlupe und in Ruhe unbeschadet – d. h. ohne dabei wirklich Wichtiges zu übersehen oder zu versäumen - zu verbringen, danach sehne ich mich. Entschleunigung heißt das moderne Zauberwort. Tempo rausnehmen. Der Alltag ist hektisch und manchmal stressig genug. Da bleibt oft zu wenig Zeit und Raum für Ruhe. Um Pause zu machen. Oder um Dinge in Ruhe erledigen zu können. In den nächsten Wochen dem Körper und vor allem der Seele Schleichgang gönnen. Das tut gut. Man muss ja nicht gleich eine Schleimspur hinter sich herziehen wie eine Schnecke. Wobei sich andere bestimmt über ein besonders freundliches, aufmerksames und bedächtiges Wort freuen, wenn ich mich im Entschleunigungs-Modus befinde. Zumindest werden sie es schön finden, wenn ich ihnen mehr entspannte gemeinsame Zeit widme.
In der Bibel heißt es: „Es ist also noch eine Ruhe vorhanden für das Volk Gottes. Denn wer zu Gottes Ruhe gekommen ist, der ruht auch von seinen Werken so wie Gott von den seinen“ (Hebräer 4,9f.) Gott hat sich diese Welt und uns alle gut ausgedacht. Er ist bis heute aktiv für uns Menschen und diese wunderbare Erde da. Aber er hat auch das Schneckentempo erfunden. Am Ende unserer Tage werden wir bei ihm zur Ruhe kommen. Bis dahin sind allerdings schon regelmäßige Ruhepausen für uns vorgesehen. Ob ein Ruhetag in der Woche oder Ruhezeiten in Ferien und Urlaub. Wir sollen aktiv sein. Sollen uns in Gottes Namen für diese Welt, für andere und uns selbst einsetzen. Sollen das Bestmögliche aus unserem Leben machen, das Gott uns geschenkt hat. Ruhepausen und Schneckentempo gehören zu Gottes Komplett-Geschenk-Paket allerdings ebenfalls immer schon dazu. Damit wir im unruhigen Hamsterrad des Alltags nicht so schnell unter die Räder kommen an Körper und Seele.
Egal ob im Urlaub oder zu Hause in diesem etwas anderen Sommer: In Ruhe Zeitung und ein Buch lesen können. In Ruhe mit anderen erzählen, essen oder spielen können. In Ruhe und ohne den nächsten Termin im Nacken spazieren gehen oder radfahren oder schwimmen oder einfach dasitzen und gar nichts machen können. Sich in Ruhe über manche Dinge in der Welt, in meinem Umfeld oder in meinem Leben Gedanken machen können. In Ruhe zu Gott finden können. Das alles tut gut. All das hilft, neue Kräfte zu sammeln für die Aufgaben und unruhigen Zeiten, die uns bald wieder bevorstehen.
Das unruhige und ungewisse Corona-Frühjahr ist für viele kräftezehrend und belastend gewesen. Und doch haben etliche auch gemerkt, wie der Lockdown vieles zur Ruhe gebracht hat. Das Alltagsleben und uns selbst. Das erzwungene Schneckentempo hat vielen gut getan. Hat so manches an Kreativität hervorgebracht. Und hat geholfen Wichtiges von eher Unwichtigem zu unterscheiden. So soll es uns auch in den kleinen Ruhepausen des Alltags und in der großen Ruhepause des Sommers gehen. Gott gebe uns im Schneckentempo „ein fröhlich Herz, erfrische Geist und Sinn. Und werf' all Angst, Furcht, Sorg und Schmerz in Meeres Tiefe hin“ (Paul Gerhardt, 1607 - 1676, deutscher evangelischer Theologe und Kirchenliederdichter).
Wer beten möchte:
Guter Gott,
danke für die Bewahrung in den letzten Wochen und Monaten,
danke für die Kräfte, die du uns in allem Ungewissen und allen Belastungen verliehen hast.
Danke für den schönen und wohltuenden Sommer.
Danke, dass viele von uns in den Sommerwochen einen Gang runterschalten können.
Und wir bitten dich:
Schenke uns in der Ferien- und Urlaubszeit Ruhe und Erholung für Körper und Seele.
Lass uns neue Kräfte sammeln für das, was uns herausfordert.
Schenke uns Zeit, um die Seele baumeln zu lassen, um mal nichts zu tun, um nachdenken zu können, um zu dir zu kommen.
Schenke uns mehr Zeit für uns selbst und füreinander.
Sei ganz besonders auch bei denen, die in den Sommerwochen arbeiten müssen, die belastet sind und Schweres tragen müssen, denen das Leben gerade hart mitspielt.
Sei bei denen, die krank, traurig, mutlos, kraftlos oder ängstlich sind. Sei du ihnen ihre stärkende, wärmende und ermutigende Sonne.
Lass uns alle Zuversicht schöpfen in dieser Sommerzeit. Amen.
Dies sind vorerst die letzten „Sonntagsgedanken“. Herzlichen Dank für all Eure und Ihre so positiven, freundlichen und bestärkenden Rückmeldungen zu den kleinen Online-Andachten. Es freut mich, dass ich Euch und Sie in der Corona-Zeit damit wohltuend begleiten konnte. Wir werden sehen wie es nach den Sommerferien weitergeht. Hoffen wir das Beste und legen es vertrauensvoll in Gottes Hand. Bleibt weiter behütet und gesund!
Nach den Sommerferien werde ich wieder einmal im Monat an dieser Stelle einen Blogeintrag mit einem nachdenklichen Impuls machen. Klickt gerne immer mal rein. Und: Wer mag und es schafft, ist jederzeit herzlich willkommen zu unseren Gottesdiensten…
Schöne und erholsame Sommerwochen wünscht Euch und Ihnen Pfarrer Norman Roth
PS: Und noch einmal die Bitte, diese Gedanken gerne zu teilen, vor allem mit denen, die nicht online sind. Vielen Dank!