Seelenfutter Jahresbeginn 2021
Dieses Jahr 2021 ist noch ziemlich frisch. Haben Sie, habt Ihr schon überlegt, was Ihnen und Euch besonders wichtig ist in den nächsten 12 Monaten. Vielleicht fällt das in diesem Jahr gar nicht so leicht, weil vieles nicht planbar, nicht voraussehbar, ungewiss ist. Aber vielleicht ist es gerade deshalb umso besser, zu überlegen, was einen in diesem Jahr inspirieren, leiten, orientieren soll. Für mich ist es die sogenannte Jahreslosung. Das Motto aus der Bibel, das mich, das uns, durch dieses Jahr gedanklich begleiten soll:
Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist (Lk 6,36). Es passt schon deshalb ganz gut, weil so manche meinen, das letzte Jahr sei doch ziemlich unbarmherzig mit uns gewesen. Barmherzig sein, ein alter Ausdruck. Er ist heute kaum noch gebräuchlich. Und deshalb stellt sich für mich zuerst die Frage: Was bedeutet barmherzig eigentlich? Wie würdet Ihr, wie würden Sie „barmherzig sein“ jemandem erklären? Barmherzigkeit ist eine Übersetzung des lateinischen Misericordia, das sich erbarmende, mitleidende Herz; „der ein Herz für die Armen hat“. Das Lexikon sagt: Es ist eine Eigenschaft des menschlichen Charakters. Eine barmherzige Person öffnet ihr Herz fremder Not und nimmt sich ihrer mildtätig an. Es geht also um eine milde, von Herzen kommende Nothilfe. Gemeint ist weniger Mitgefühl als Großherzigkeit.
Wir Christen schreiben Gott als grundlegende Eigenschaft Barmherzigkeit zu: Schon im Alten Testament unserer Bibel ist Gott seinem Volk barmherzig. Gott ist treu, er ist gnädig und verzeiht. Gott hat Mitleid und erbarmt sich der Menschen. Die hebräische Bezeichnung dafür ist „Gebärmutter“. Gott erbarmt sich über die Angehörigen seines Volkes wie eine Frau sich ihrer eigenen Kinder erbarmt, die sie im Mutterleib getragen hatte. Im Neuen Testament wird Gott als liebevoller Vater dargestellt. Gott ist barmherzig und vergibt Sünde, also mangelndes Gottvertrauen, und Schuld. Er nimmt die auf und an, die auf dem Holzweg waren, aber Reue zeigen, umkehren, sich ändern wollen. So wird Gott in einem berühmten Gleichnis verglichen mit einem Vater, der seinen Sohn überraschend wieder liebevoll bei sich aufnimmt. Nachdem dieser sein Erbe vorzeitig auf den Kopf gestellt und ganz unten angelangt war.
Barmherzigkeit. Die geht also zunächst von Gott aus. Er wendet sich liebevoll uns Menschen zu. Wie eine Mutter und ein Vater. Er kümmert sich um uns, er ist da. Und er vergibt uns, wenn wir etwas falsch gemacht haben und es bereuen. Gott hat ein Herz für uns Menschen. Gott begegnet uns barmherzig und damit warmherzig.
Gott ist barmherzig mit uns. Und genauso barmherzig sollen wir Menschen sein. Sagt die Jahreslosung. Das ist eine Zumutung, eine Herausforderung, finde ich. Wir sollen es machen wie Gott. Aber wir sind nicht Gott. Also bleibt Barmherzigkeit ein Ziel und Ideal, ein Orientierungspunkt dafür wie wir gut und im Sinne Gottes handeln können und sollen. Wie wir mit uns selbst und mit anderen umgehen sollen. Es heißt nur: Seid barmherzig. Und dann kann man ergänzen: mit euch selbst und mit anderen. Seht auf Gott und seine Barmherzigkeit und Liebe zu euch. Und dann geht liebevoll und barmherzig mit euch selbst und mit anderen um. Barmherzigkeit gehört zur Grundtugend eines Christen. Berühmt geworden ist der barmherzige Samariter, den Jesus zum Vorbild nimmt: Ein fremder hilft einem Menschen, der von Räubern überfallen wurde. Das Erstaunliche dabei: Der Fremde stammt aus einem verfeindeten Nachbarvölkchen.
Und das führt wieder zurück zu unserer Jahreslosung. Die bringt im Lukasevangelium nämlich nur noch mal das auf den Punkt, was vorher detailliert und konkret gesagt wurde: Man soll anderen Gutes tun ohne dabei zu erwarten, dass das Gleiche zurückkommt und erwidert wird. Man soll seine Feinde lieben. Man soll nicht nur denen etwas Gutes tun, die einem auch Gutes getan haben oder noch tun. Man soll einfach geben. Und nicht nur leihen und zurückfordern. Wir sollen nicht nach dem Nutzen fragen, danach, was und wie viel mir etwas bringt, wenn ich einem anderen etwas Gutes tue. Denn bei Gott haben wir schon alles. Er nimmt uns an. Er sorgt für uns. Er geht liebevoll mit uns um. Er ist auch gütig denen gegenüber, die undankbar und böse sind.
Also: Seid barmherzig wie auch Gott barmherzig ist. Schaut auf Gott, wie der mit euch umgeht. Und dann geht genauso mit euch selbst und mit anderen um. Habt ein Herz für euch und für die anderen. Genauso wie Gott ein Herz für euch hat. Geht warmherzig mit euch und anderen um.
Und wenn das das Motto für dieses Jahr und für dieses schwierige Corona-Jahr ist, dann könnte das ganz konkret heißen: Sei barmherzig mit dir selbst. Du hast zurzeit eine Menge zu bewältigen. Die Pandemie ist eine Belastung. Gönn dir Pausen, um neue Kräfte zu sammeln. Und sieh dir Fehler nach. Gerade jetzt können die passieren. Vielleicht auch aus der Anspannung und Ungewissheit heraus. Da hab ich vielleicht entschieden, mich doch mit jemandem zu treffen. Und entweder der andere oder ich stecke mich mit Corona an. Sei barmherzig und warmherzig mit dir selbst.
Und sei barmherzig mit anderen. Geh warmherzig mit ihnen um. Kümmere dich um andere, die in Nöten sind und die Hilfe und Unterstützung brauchen. Und erwarte keine Hilfe zurück. Lass dich auf andere ein, auch wenn sie anderer Meinung sind. Und auf ihrer Meinung und Sichtweise beharren und diese nicht ändern werden. Oder auch wenn sie nicht zu Kompromissen bereit sind. Oder dich und deine Bedürfnisse nicht berücksichtigen. Denk dran: An Gottes Liebe zu dir hast du eigentlich genug. Er kümmert sich um dich.
Ich weiß, dass das eine große Herausforderung ist. Irgendwo eine Zumutung. Es ist nicht einfach.
Aber mit der Jahreslosung kommen wir vielleicht gerade jetzt gut durch die Corona-Pandemie: Wenn wir barmherzig miteinander umgehen. Wenn wir die Not des anderen sehen. Wenn wir nicht nur unsere Sichtweise für die einzig richtige halten und andere verteufeln. Wenn wir nachsichtig miteinander sind. Keiner hat eine solche Pandemie je erlebt. Jede und jeder kann jetzt Fehler machen. Dinge falsch einschätzen. Auch Wissenschaftler und Politiker. Halten wir trotz aller Unterschiede und Gegensätzlichkeiten zusammen. Seien wir nachsichtig, rücksichtsvoll, verantwortungsbewusst und hilfsbereit. Damit wir gut und gesund durch diese schwierige Zeit und auch durch dieses Jahr kommen.
Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. Ein gutes und wichtiges Motto für dieses Jahr. Und in unseren gespaltenen Zeiten zwischen Querdenkern und Wissenschaftlern, zwischen Corona-Leugnern und Ängstlichen, zwischen Impfgegnern und Impfbegeisterten, zwischen Pessimisten und Hoffnungsvollen, zwischen Rücksichtslosen und Kümmerern.
Wer beten möchte:
Gott, du Begleiter durch die Zeiten. Was das dieses Jahr uns bringen wird, wissen wir nicht. Was immer kommen mag, wir hoffen darauf, dass du uns nah bist. Lass uns allem Ungewissen, allem Neuen, allen Belastungen und Herausforderungen in diesem Jahr zuversichtlich entgegengehen. Schenke uns Weisheit, Mut und Orientierung. Lass uns spüren wie barmherzig du zu uns bist. Und lass uns auch mit uns und anderen barmherzig sein. Gib uns die nötige Kraft dazu. Amen.
Kommt behütet und gesund durch dieses Jahr!
Ihr und Euer Pfarrer Norman Roth
PS: Wie immer die Bitte: Teilt diese Gedanken gerne auch mit denen, die nicht online sind. Danke.